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Interview mit Herrn R. zum Thema Alkohol; Alkoholwoche 2019
Quelle: Prop Freising, Frau Sarah Sohst Mitarbeiterin an der Prop Beratungsstelle im Gespräch mit Herrn R.
Herr R. verraten Sie uns Ihr Alter und würden Sie uns etwas über sich erzählen?
Ich bin 45 Jahre alt und lebe mit meiner 14jährigen Tochter in einer 2-Zimmer-Wohnung. Ihre Mutter ist sehr krank und kann sich nicht um sie kümmern. Ich bekomme Harz-IV, aber wir kommen gut zusammen aus. Meine erwachsene Tochter lebt in München und bekommt bald ihr erstes Kind – ich werde Opa! Seit 4 Wochen habe ich ein E-Bike und fahre seitdem jeden Tag, ich habe schon tausend Kilometer auf dem Tacho!
Wie war Ihr weg in die Alkoholabhängigkeit?
Mit sechs Jahren habe ich das erste Mal Alkohol probiert, danach war es mehr Neugier. Ich wollte einfach austesten. In der 8. Klasse – mit 13/14 ¬– ging es dann los, dass Alkohol mit Freunden getrunken wurde. Aber da war ich immer einer derjenigen die auf Partys auch mal nein gesagt haben. Mit 22 fing ich an, regelmäßig mit Kollegen in die Kneipe zu gehen, das war bei uns in der Ukraine normal. Durch die Arbeit als LKW-Fahrer habe ich viel Stress erlebt, auf den Straßen gab es Gewalt und bewaffnete Soldaten. Die Menschen haben viele schlimme Geschichten miteinander geteilt, auch ich habe viel erlebt. Der Alkohol half uns, den Stress abzubauen und zu entspannen.
Später arbeitete ich bei der Feuerwehr, dort wurde die Belastung oft zu stark und wir tranken nach jedem Dienst.
Familiär war bei mir eigentlich alles schön, ich war viel draußen. Meine Mutter trank nie, mein Vater konnte viel vertragen.
Sie sind an die Suchtberatungsstelle gekommen, wie kam es zu diesem Entschluss und wie war der Weg zur Beratungsstelle von Prop?
Meine Therapeutin in der Langzeittherapie in Bad Neustadt hat mir die Adresse vermittelt, sie hat nachdrücklich darauf bestanden, dass ich eine Nachsorge in der Beratungsstelle mache. Das war wichtig, denn sie kannte Freising von früher.
Haben Sie sich damals als abhängig erlebt?
Ja, schon lange vorher. Man weiß es eigentlich schon früh, nur man will es nicht sehen. Aber ich war ja auch schon das zweite Mal auf Langzeittherapie, als ich die Nachsorge in der Beratungsstelle anfing.
Wie war Ihr Weg aus der Sucht?
Es gab Situationen, in denen ich in Lebensgefahr geraten bin und nicht mehr wusste was passiert ist. Vier Mal war das und einmal wollte ich im 2.Stock vom Balkon springen. Da kamen Feuerwehr und Polizei, aber ich habe das alles nicht realisiert. Im Straßenverkehr kam ich fast unter die Räder. Daraufhin habe ich die erste Langzeittherapie gemacht, wurde aber bald wieder rückfällig, weil ich sofort danach wieder gearbeitet habe, denn mein Chef brauchte mich. Es dauerte 4 Wochen bis ich wieder auf Entgiftung musste. Danach dann die zweite Langzeittherapie in Bad Neustadt mit anschließender Nachsorge. Es war Glück, dass ich danach direkt in das ambulant betreute Einzelwohnen aufgenommen wurde und gleichzeitig in die Selbsthilfegruppe und die Kontakt- und Begegnungsstätte (KoB) gegangen bin. Dort habe ich viel Hilfe bekommen, Leute getroffen und bin jetzt seit drei Jahren abstinent.
Was war für Sie im Nachhinein eine wichtige Erkenntnis, die heute noch von Bedeutung ist – also Ihr Benefit aus der ganzen Geschichte?
Ich sehe viele Vorteile an der Abstinenz, ich habe zum Beispiel keine Probleme mehr mit den Menschen um mich herum, ich habe keine finanziellen Probleme mehr, keine ständigen Kopfschmerzen und muss mich nicht mehr übergeben. Das Herzrasen und die Panik sind weg und ich muss nicht mehr ständig darüber nachdenken, wie ich an Alkohol komme, das war ein großer Druck. Ich habe verstanden, dass Alkohol mich psychisch zerstört!
Fühlen Sie sich heute immer noch alkoholabhängig? Wenn ja, wieso, wenn nein, wieso nicht?
Das ist eine schwierige Frage, sie ist interessant. Irgendwie fühlt es sich nicht richtig beantwortbar an. Einerseits ist und bleibt ein Alkoholiker immer ein Alkoholiker, würde ich wieder trinken, wäre ich wieder ohne Kontrolle und unter Suchtdruck. Aber jetzt fühle ich mich nicht alkoholabhängig Ich habe seit Jahren keinen Suchtdruck mehr, ich denke nicht mehr darüber nach und weiß tief in mir, dass ich nie wieder trinken werde.
Was hilft Ihnen heute stabil zu bleiben?
Mein Fahrrad und der Erfolg beim Fahren machen mich stark. Ich will nie wieder meine Wohnung verlieren und möchte für meine Tochter da sein, das ist mir wichtig. Und meine Bekannten in der KoB, besonders einer, der mir ans Herz gewachsen ist. Er hat es auch geschafft, abstinent zu leben, wir haben uns im betreuten Einzelwohnen kennen gelernt. Ich bin auch gerne ein Vorbild für die Leute in der KoB, die es noch nicht geschafft haben.
Ich weiß jetzt einfach: das Leben ist viel schöner ohne Alkohol, ich kann es einfach genießen. Auch wenn es manchmal Schwierigkeiten gibt oder nicht alles so läuft, wie ich es mir mal gewünscht habe. Es ist nicht immer perfekt, aber ich höre die Vögel zwitschern und freue mich!
Danke, Hr. R., das war es schon!
(lacht) Echt, jetzt schon? Hat richtig Spaß gemacht!